Wohlstandsverwöhnte Schweiz: Mehr als ein Drittel der Beschäftigten arbeitet Teilzeit

Swiss news Updated Feb,6,2023, visits 3730, Source United Press Of Geneva, By Katharina Fontana

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Laut einer Sotomo-Umfrage steht die Schweizer Bevölkerung einer Viertagewoche mehrheitlich aufgeschlossen gegenüber. Auch möchte sie Familien mehr unterstützen. Wie die Wohltaten finanziert werden sollen, wurde allerdings nicht erhoben.

Wer den Eindruck hat, dass die Schweiz zunehmend wohlstandsverwöhnt ist, darf sich durch eine neue Umfrage bestätigt fühlen. Der Verein Geschlechtergerechter hat mit dem Forschungsbüro Sotomo der Einstellung der Bevölkerung zum Thema Vollzeit- und Teilzeitarbeit nachgespürt. Die Frage, welches Verhältnis die Bevölkerung zur Arbeit hat, ist vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels höchst aktuell. Zudem ist sie auch brisant, steht doch der Vorwurf im Raum, dass die Knappheit auf dem Arbeitsmarkt zum Gutteil selbstverschuldet sei, weil sich die Schweizer seit einiger Zeit zu intensiv um ihre Work-Life-Balance kümmerten und zu eigentlichen Freizeitspezialisten geworden seien.


Tatsächlich, so muss man aus der Sotomo-Studie schliessen, scheint der Arbeitswille hierzulande nicht unbändig gross zu sein. Die Mehrheit der rund 2000 Befragten hat zwar durchaus einen Sinn für die Realitäten und findet, man müsse in der Schweiz aufgrund des demografischen Wandels und des Arbeitskräftemangels eigentlich mehr arbeiten; 55 Prozent tendieren zu dieser Aussage. Zugleich ist jedoch eine noch grössere Mehrheit von 68 Prozent der Befragten der Ansicht, dass man in der Schweiz allgemein zu viel arbeite und einen zu grossen Teil des Lebens dem Job unterordne. Dies, obschon die Arbeitszeit in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen ist.

Betrug ein Vollzeitpensum 1991 im Durchschnitt noch 43,2 Stunden, waren es 2019 noch gut 41 Stunden. Und bezieht man die vielen Teilzeitbeschäftigten ein, ging die wöchentliche Arbeitszeit von 35,3 Stunden im Jahr 1991 auf 31,7 Stunden im Jahr 2019 zurück. Mehr als ein Drittel der Beschäftigten arbeitet heute Teilzeit.

Angesichts dieses etwas gespaltenen Verhältnisses zur Arbeit erstaunt es nicht, dass auch die Viertagewoche hoch im Kurs steht. Rund zwei Drittel der Befragten halten es laut der Sotomo-Umfrage für eine gute Idee, die Arbeitswoche gesetzlich auf vier Tage zu verkürzen, wie es verschiedentlich in Europa diskutiert wird. Diese Massnahme soll – so lautet die Theorie – zur Gleichberechtigung beitragen und mehr Mütter in den Arbeitsmarkt locken, und zwar ohne negative Folgen für die Produktivität. Je weiter links die Befragten stehen, desto euphorischer wird die Viertagewoche begrüsst. Allerdings fragt die Studie nicht, wer im Gegenzug zu einer Reduktion der Arbeitszeit bereit wäre, beim Lohn Abstriche hinzunehmen.

Aufschlussreich sind die Gründe, warum die Leute Teilzeit arbeiten. Allgemein kann man sagen: Es ist eine Frage der persönlichen Vorlieben und nicht der äusseren Zwänge. An allererster Stelle steht das Bedürfnis nach freier Zeit; bei den Frauen sind es 48 Prozent und bei den Männern 40 Prozent, die Freizeit als Grund angeben. Sind keine Kinder zu betreuen, spielt die Freizeit sogar eine noch grössere Rolle für die Teilzeitarbeit. Als weitere Gründe werden Hausarbeit, gemeinsame Zeit mit den Kindern, Ausbildung oder die Belastung im Job genannt.

Das oft gehörte Argument, dass Frauen hauptsächlich wegen Schwierigkeiten bei der Kinderbetreuung nicht in einem grösseren Pensum arbeiten könnten, steht hingegen nicht im Vordergrund. Dies deckt sich mit dem Umstand, dass Mütter ihr Pensum auch dann nicht erhöhen, wenn die Kinder grösser sind.

Kitaplatz-Garantie und «Herdprämie»

Gleichwohl findet eine Mehrheit von 58 Prozent der Befragten, dass jedes Kind ab drei Monaten einen gesetzlichen Anspruch auf einen Krippenplatz haben soll, wobei der Staat gut einen Drittel der Kosten übernehmen soll und die Eltern den Rest. Eine noch grössere Mehrheit von 64 Prozent der Befragten hält es allerdings für richtig, dass auch Eltern, die ihre Kinder selber betreuen, finanziell entschädigt werden, was gerade das Gegenteil eines Erwerbsanreizes wäre. «Sie wollen beides: Kitaplatz und Herdprämie», heisst es in der Sotomo-Studie.

Man kann diese Ergebnisse wohl so interpretieren: Alles, was den Familien dient, ist prinzipiell gut und verdient Unterstützung. Allerdings machen die Befragten einen Unterschied, ob die Familien die Hilfe auch tatsächlich benötigen oder ob sie freiwillig auf ein höheres Einkommen verzichten. Damit ist die Gruppe der gut ausgebildeten Mütter und Väter gemeint, die sich damit begnügen, zwei, drei oder allenfalls vier Tage pro Woche einer Arbeit nachzugehen. Sie zahlen wegen des Erwerbsverzichts nicht nur überproportional weniger Steuern, sondern profitieren oftmals auch von Subventionen bei den Krankenkassenprämien oder der Kita.

70 Prozent der Befragten halten es nicht für richtig, dass diese Eltern weiterhin Vergünstigungen erhalten. Und immerhin fast die Hälfte der Befragten könnte sich vorstellen, dass gut ausgebildete Personen, die sich mit einem Teilzeitjob begnügen, einen Teil ihrer von der Allgemeinheit finanzierten Ausbildungskosten später zurückzahlen sollen.

10 Prozent der Befragten geben weiter an, dass es sich für sie nicht lohne, mehr zu arbeiten, was mit der Steuerprogression zu tun haben kann. Das Anliegen, dass Doppelverdienerpaare steuerlich nicht benachteiligt werden sollen, geniesst zwar viel Zuspruch. Allerdings gehen die Meinungen darüber auseinander, wie man die Paare entlasten will und ob dies auf dem Weg der Individualbesteuerung geschehen soll. Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet die FDP-Anhängerschaft die Individualbesteuerung, die von den FDP-Frauen mittels Volksinitiative gefordert wird, am deutlichsten ablehnt.

Rechnung liegt nicht vor

Die Ergebnisse der Sotomo-Studie wirken streckenweise widersprüchlich. Was auffällt: Frauen sind durchs Band für mehr staatliche Wohltaten zu haben, während bei den Männern die ökonomische Sichtweise mit der Sicherung des Wohlstands dominiert. Allgemein gesagt liegt der Schluss nahe, dass sich am Trend zur Teilzeitarbeit nicht so schnell etwas ändern wird. Gleichzeitig sollte man aus der Umfrage auch keine voreiligen Schlüsse ziehen. Ideen wie eine Viertagewoche, eine Kitaplatz-Garantie oder eine «Herdprämie» mögen auf den ersten Blick populär sein. Doch wenn man der Bevölkerung die Rechnung präsentiert und zeigt, was solche Leistungen die Allgemeinheit kosten würden, dürfte das die Begeisterung spürbar dämpfen.


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